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Offener Brief lettera aperta

Offener Brief lettera aperta 6. März 2024

Offener Brief an die Redaktionen Bozen, 6. März 2024 CC: Journalistenkammer und Disziplinarrat der JKammer
Sehr geehrte Redaktionen, liebe Journalistinnen und Journalisten,
wir stellen mit großer Sorge fest, dass sich in vielen Redaktionen Mechanismen und Gewohnheiten eingeschlichen haben, die für das gesellschaftliche Miteinander bedrohlich sind. Es ist klar, dass Redaktionen gern einen Scoop landen, dass der Wettbewerb zwischen den Medien und der Druck der digitalen Informationsstreuung groß sind, auch dass die Gratwanderung zwischen Nachrichtenwert und Wahrung der journalistischen Grundwerte (Ethik-Kodex des Berufsstandes) eine schwierige ist. Das Recht auf Pressefreiheit ist aber keine Absolution für unethisches Arbeiten und nicht mit absoluter Meinungsfreiheit gleichzusetzen, sondern wird durch andere Rechte eingeschränkt, wie das Recht auf Privatsphäre, das Recht auf Wahrung der Menschenwürde usw., unterliegt in jedem Fall den Gesetzen zum Schutze Dritter (Gesetz 69/1963) und muss mit Bedacht – Hausverstand, Professionalität und Sensibilität - ausgeübt werden. Besonders bei der Berichterstattung von Verbrechen darf Gewalt nicht voyeuristisch geschildert werden (Einheitstext - Testo Unico dei Doveri del Giornalista, 2021, Art. 3 und Art. 5bis).
Insbesondere in der Berichterstattung über Femizide oder versuchte Femizide ist eine korrekte, respektvolle, nicht auf Effekthascherei ausgelegte Darstellung in Wort und Bild unerlässlich. Andernfalls werden Journalisten und Journalistinnen zu Komplizen eines sozialen Phänomens, das allein in Italien im Jahr 2023 zu 120 von Männern getöteten Frauen führt. Zahlreiche Studien belegen, wie toxische Narrative (auch solche in den Medien) zu einer sekundären Viktimisierung der Betroffenen und ihrer Familien führen, das Risiko einer Nachahmung bergen und zu einer Leseart führen, die Gewalttaten gegen Frauen spektakularisiert, bagatellisiert, rechtfertigt oder zur Normalität macht.
Angesichts der jüngsten Ereignisse in Südtirol, in der Berichterstattung über den letzten versuchten Femizid in Bozen, wird exemplarisch deutlich, wie die oben beschriebenen Dynamiken in all ihrer negativen Wirkkraft zum Zug kommen und der „Testo Unico dei Doveri del Giornalista (Art. 5 bis)“ missachtet wird – jener Artikel, der ausdrücklich dazu auffordert, nach Abwägung des öffentlichen Interesses einer Nachricht, eine Berichterstattung zu wählen, die auch die Angehörigen der betroffenen Personen in ihren Rechten und ihrer Würde respektiert.
Hier sind einige konkrete Beispiele, die wir in dem oben genannten Fall festgestellt haben:
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Veröffentlichung (einschließlich Video) der Hausnummer und des Namens auf der Türklingel:
Gehört diese Information veröffentlicht, oder verletzt sie nicht das Recht der Familie auf Privatsphäre? Wurde das Recht auf Sicherheit jener Personen, die weiterhin in dieser Wohnung leben, damit berücksichtigt?
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Befragung von direkt betroffenen Personen:
Sind Interviews mit schwer traumatisierten Personen im öffentlichen Interesse, oder dienen sie einem rein sensationslüsternen Zweck? Wie informativ kann ein Interview mit tendenziösen Fragen an eine emotional traumatisierte Person sein?
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Bilder von Blutflecken und Blutspuren:
Sind sie für die Berichterstattung relevant oder nur voyeuristische Details?
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Interviews mit nicht direkt beteiligten Personen, z. B. Nachbarn:
Welche Informationen von öffentlichem Interesse können diese beitragen?
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Telefonanrufe auf dem Mobiltelefon des Opfers:
Wo liegt das öffentliche Interesse an wiederholten Anrufen auf dem Mobiltelefon des Opfers (!) innerhalb weniger Stunden nach den Ereignissen?
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Interviews mit Experten von Beratungsstellen für Gewaltschutz:
Liegt das öffentliche Interesse wirklich in der Instrumentalisierung von Informationen, oder sollte es nicht eher der Verbreitung des Dienstleistungsangebots dienen, der Hilfsangebote und Telefonnummern für diejenigen, die sich in ähnlichen Situationen befinden (Prävention)?
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„anonyme Hinweise" durch mehr oder weniger zuverlässige Quellen:
Welches öffentliche Interesse besteht an Informationen über laufende Ermittlungen?
Wir laden Sie alle ein, diesen Offenen Brief in seiner ganzen Länge zu veröffentlichen, aber vor allem laden wir Sie dazu ein, eine redaktionsinterne Reflexion über diese Vorfälle und Gewohnheiten zu starten: Die Nichteinhaltung grundlegender ethischer Standards macht Sie mitverantwortlich für ein kulturelles Phänomen von enormer gesellschaftlicher Relevanz.
Eine ethische korrekte Berichterstattung ist möglich und notwendig. Wir vertrauen ob der Tragweite des Phänomens auf Ihr Verständnis!
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